Tractatus-Verleihung und glänzende Vorträge beim Philosophicum Lech 2017
Renommierter Essay-Preis Tractatus für das „Wörterbuch der Unruhe“
Als ein ganz besonderer Moment offenbarte sich die Verleihung des Tractatus am Freitagabend im Rahmen des Philosophicum Lech. Mit Laudator Franz Schuh und dem für sein „Wörterbuch der Unruhe“ ausgezeichneten Ralf Konersmann reflektierten zwei exzellente Essayisten unserer Zeit über die von ihnen gepflegte wie geschätzte literarische Gattung. Auch die anregenden und profunden Vorträge fanden am zweien Tag des Symposiums großen Anklang.
Ein alljährliches Glanzlicht des Philosophicum Lech ist die feierliche Verleihung des Tractatus. Der Festakt mit musikalischer Umrahmung findet stets im Rahmen des Symposiums am Freitagabend in der Neuen Kirche Lech statt. Dass sich diese dabei immer gut besucht zeigt, dürfte nicht zuletzt im Interesse an der Laudatio eines der Tractatus-Jurymitglieder sowie der Dankesrede des Preisträgers begründet liegen.
Schließlich kommen rhetorische Könner, wenn nicht Koryphäen zu Wort, was sich allein schon aus den Ansprüchen des Tractatus ableiten lässt, zu denen nicht zuletzt die gelungene sprachliche Gestaltung gehört. „Der Tractatus zeichnet ambitionierte deutschsprachige Publikationen aus, die der Form des Essays verbunden bleiben und die auf niveauvolle Art und Weise den öffentlichen Diskurs befeuern“, so die Philosophin Katharina Lacina, die auch heuer wieder durch den Abend führte.
Dass der Tractatus als Preis für Wissenschaftsprosa und philosophische Essayistik nicht nur auf seinem Felde zu den höchstdotierten im deutschsprachigen Raum zählt, verdankt sich dreier privater Sponsoren, die anonym bleiben möchten. Zum großen Renommee des Essay-Preises des Philosophicum Lech trägt auch die beeindruckende Liste an bisherigen Preisträgern bei. Ihren Ausgang nahm diese im Jahre 2009 mit dem österreichischen Autor und Philosophen Franz Schuh.
Mittlerweile gemeinsam mit der Schweizer Journalistin und Philosophin Barbara Bleisch sowie dem deutschen Schriftsteller und ehemaligen Verleger Michael Krüger die dreiköpfige Tractatus-Jury bildend, war Schuh auch der Laudator am gestrigen Abend. Dass dieser zu einem besonderen Moment wurde, lag nicht nur daran, dass Schuh sich als einer der profiliertesten Essayisten im deutschsprachigen Raum leider aus der Jury verabschiedet, um ihr neue Perspektiven zu eröffnen, wie er sagte.
Philosoph Ralf Konsermann als würdiger Preisträger des Tractatus 2017
Zu einer Feier der Essayistik an sich wurde die Preisverleihung schon dadurch, dass Franz Schuh sozusagen in Dialog mit dem Preisträger trat, indem er in seiner Laudatio dessen Zitate über die literarische Gattung des Essays einstreute und mit eigenen Reflexionen garnierte: „Die Form ist das Glück, sage ich als Essayist“, so der Laudator, der u. a. auch auf den Widerstreit zwischen essayistischer Freiheit und philosophisch-gedanklicher Stringenz hinwies. „Wenn es eine ideale Lösung geben mag, eine gelungene Vereinigung der Aufrechterhaltung der Gegensätze und ihrer Spannung, dann finden wir sie im ‚Wörterbuch der Unruhe’ von Ralf Konersmann.“
Konersmann, Professor für Philosophie an der Universität Kiel und Mitglied der Wissenschaften in Hamburg, dessen brillant kulturanalytisches „Wörterbuch der Unruhe“ exemplarisch mit dem Tractatus 2017 bedacht wurde, gab auch seinerseits Gedanken über die Gattung des Essays in der Dankesrede zum Besten, wobei er über den großen Einfluss von Blaise Pascal auf sein Werk referierte. Der Tractatus sei ihm als Preis für Essayistik besonders teuer, wie der Philosoph betonte und die Verleihung als „ Ausnahmemoment“ bezeichnete. „Ich danke der Jury und all denen, deren bürgerschaftliches Engagement dieses beispiellose Philosophicum Lech auf den Weg gebracht hat und in Schwung hält“, zeigte sich Konsermann beeindruckt.
Nachdem Konsermann in seinem prämierten Werk den vielfältigen gegenwärtigen Phänomenen der Unruhe als wirkmächtiger Leitidee unserer abendländischen Kultur auf den Grund geht, lässt sich von diesem mühelos eine Brücke zu den Referaten am zweiten Tag des Philosophicum Lech schlagen. So ist Arbeit der erste Begriff im „Wörterbuch der Unruhe“ und findet sich auch im Untertitel des Symposiums: „Die Arbeit und ihr Schicksal“. Das Phänomen der Unruhe, das im Buch Konsermanns als „das kulturelle Grundgewebe unserer geistigen Orientierung“ zutage tritt, spiegelt sich ja nicht zuletzt in den Dogmen und Maximen der heutigen Arbeitsgesellschaft, denen beim heurigen Philosophicum der „Mut zur Faulheit“ entgegengesetzt wird.
Von der Austreibung des Faulteufels und den Wonnen der Arbeit
Den Auftakt zum freitäglichen Vortragsreigen gab der prominente protestantische Theologe und Medizinethiker Ulrich H. J. Körtner, der sich unter dem Titel „Gottesdienst im Alltag der Welt“ der Geschichte und Zukunft des protestantischen Arbeits- und Berufsethos widmete. Und zwar mit dem Ziel, das Potenzial der reformatorischen Erbes für die Probleme der heutigen Arbeitsgesellschaft auszuloten, die sich in einem dramatischen Umbruch befindet. Muße, so meinte er etwa, resultiere „aus der Entdeckung der Langsamkeit, aus der Einsicht, genügend Zeit zu haben, die uns niemand stehlen kann außer wir selbst“.
Das zweite Referat am Freitagvormittag hielt der renommierte deutsche Philosoph Martin Seel unter dem paradox anmutenden Titel „Wonnen der Arbeit, Mühen der Faulheit“. Seine dialektisch geprägten Überlegungen „Über die Transformation von Tugenden in Laster und Lastern in Tugenden“, so der Untertitel, mündeten in der Conclusio, dass kein Abschied von der Arbeit bevorsteht, „sondern lediglich von der Dominanz und dem Umfang bestimmter Formen ihrer Ausübung“. Die Alternative zur Arbeit liege in einem anderen Verhältnis zu ihr. „Sie liegt nicht in einer Befreiung von der Arbeit, sondern Befreiung der Arbeit“, so Seel.
Die anschließende Publikumsdiskussion unter Moderation von Rainer Nowak, Chefredakteur der Tageszeitung „Die Presse“, gestaltete sich thematisch vielfältig und unterstrich das starke Interesse an den beiden Vorträgen, denen am Nachmittag zunächst jener der Philosophin Nassima Sahraoui „Über das Verhältnis von Arbeit und Muße – Eine Philosophie der Faulheit“ folgte. Unter der Prämisse „Reichtum ist verfügbare Zeit und sonst nichts“ plädierte sie für eine zweifache Bewegung: das Widerstehen gegen die ökonomische Zeit und gleichzeitig die inwendige Zurücknahme in eine andere Taktung zwecks „Verfügbarmachung der eigentlich nicht frei verfügbaren Zeit“.
Das abschließende Referat des Tages unter dem bildstarken Titel „Die Austreibung des Feuerteufels“ hielt der bekannte deutsche Literaturwissenschaftler, Essayist und Literaturkritiker Manfred Koch. Ebenso unterhaltsam wie aufschlussreich beleuchtete er „die neuzeitliche Züchtung des tüchtigen Menschen“ wie sie etwa in der Armee, der Schule, aber auch in den frühen Manufakturen erfolgte, und des Weiteren „die Taugenichtse der modernen Literatur“, von ihrem ersten Auftauchen bei den Romantikern bis hin zu Hermann Melvilles Roman „Bartleby the Scrivener. A Story of Wall Street“. Im Zeitalter der wildgewordenen Märkte solle man darauf achten, so Koch, dass „der Akzent endlich wieder mehr auf Leben als auf Geschäft liegt“. Auch in diesem Sinne lässt sich mit Vorfreude den Vorträgen an den letzten beiden Tagen des Philosophicum Lech entgegenblicken. Denn im besten Falle sind Philosophie und Leben eins.
Weitere Informationen unter www.philosophicum.com
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