Tractatus-Verleihung im Rahmen des 24. Philosophicum Lech
Lech, 2021-09-25
Feierliche Verleihung des Tractatus 2021 an Christoph Möllers und Würdigung des letztjährigen Preisträgers Roberto Simanowski
Im Rahmen des 24. Philosophicum Lech erfolgte am Freitagabend die feierliche Verleihung des Tractatus 2021. Ausgezeichnet mit dem renommierten Essay-Preis, dotiert mit 25.000 Euro, wurde der Rechtsphilosoph Christoph Möllers für sein Werk „Freiheitsgrade. Elemente einer liberalen politischen Mechanik“. Live zugeschalten aus dem ehemaligen Arbeitszimmer von Thomas Mann in dessen Exil-Heimat Los Angeles betonte er in der Dankesrede seine besondere Freude aufgrund des Charakters des Tractatus. Vor Ort in Lech am Arlberg war wiederum der Preisträger des letzten Jahres Roberto Simanowski, der nochmal im Podiumsgespräch mit Barbara Bleisch gewürdigt wurde. Michael Krüger als weiteres Jurymitglied hielt die Laudatio auf Möllers. So präsentierte sich der Festakt insgesamt als ein Abend voll trefflicher Momente und geistiger Brillanz.
Der Freitagabend ist seit vielen Jahren ein besonderes Glanzlicht des Philosophicum Lech. Die feierliche Verleihung des Tractatus fand heuer bereits zum 13. Mal statt, wie der Obmann des Vereins Philosophicum Lech Ludwig Muxel in seiner Festrede unterstrich und sich nachdrücklich bei den privaten, anonym bleibenden Sponsoren bedankte. Mit 25.000 Euro zählt der Tractatus als Preis für philosophische Essayistik zu den höchstdotierten und renommiertesten auf diesem Felde im deutschsprachigen Raum. Seit 2009 werden damit herausragende philosophisch-kulturwissenschaftliche Publikationen prämiert, „die uns helfen, unsere Zeit und uns selbst, die wir in dieser Zeit stehen und von ihr geprägt werden, zu verstehen oder vielleicht auch kreativ umzudeuten“, wie Barbara Bleisch erklärte. Die Schweizer Philosophin, bekannt als Moderatorin der Sendung „Sternstunde Philosophie“ im Radio und Fernsehen SRF, ist Mitglied der Tractatus-Jury und führte durch den Abend. Zugegen waren auch die weiteren Jurymitglieder, der aus Österreich stammende Autor und Journalist Thomas Vašek, Gründungschefredakteur der Philosophiezeitschrift „Hohe Luft“, der deutsche Schriftsteller und Essayist Michael Krüger, ehemaliger Verlagsleiter der Carl Hanser Literaturverlage, sowie der Juryvorsitzende (nicht stimmberechtigt) Konrad Paul Liessmann, wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.
Ebenfalls anwesend war der Tractatus-Preisträger 2020 Roberto Simanowski. Trotz der pandemiebedingten Verschiebung des Philosophicum Lech im letzten Jahr fand im Herbst 2020 die Tractatus-Verleihung statt, allerdings nur in kleinem Kreis. Daher wurde die Gelegenheit genutzt, Simanowski ein weiteres Mal zu würdigen und auf das Podium zu bitten. Barbara Bleisch sprach mit ihm vor dem Hintergrund der Corona-Zeit über sein mit dem Tractatus bedachtes Buch „Todesalgorithmus. Das Dilemma der künstlichen Intelligenz“. In diesem zeichnet der weltweit angesehene Literatur- und Medienwissenschaftler das Zukunftsszenario einer allumfassenden Digitalisierung – mit der kühnen Überlegung, dass der Mensch der weiterentwickelten künstlichen Intelligenz die Entscheidungen überlassen könnte, um sich angesichts grundlegender Problematiken wie des Klimawandels und mangelnder Willenskraft vor sich selbst zu schützen. Auf die Frage von Bleisch, ob dies eine reine gedankliche Spielerei sei oder mehr, meinte Simanowski: „Ich nenne es lieber eine philosophische Spekulation, die uns über das Naheliegende hinausbringt, wodurch wir sehen können, was auf uns zukommt, wenn die schwache künstliche Intelligenz sich zu einer starken entwickelt.“ Am Sonntag, den 26. September, um 10:30 Uhr wird Roberto Simanowski im Rahmen des Philosophicum Lech einen Vortrag unter dem Titel „Todesalgorithmus. Die Fiktionen der künstlichen Intelligenz“ halten.
Feierliche Verleihung des Tractatus 2021 mit Laudatio von Michael Krüger
Anschließend an die abermalige Würdigung Simanowskis erfolgte die Verleihung des Tractatus 2021. Preisträger ist Christoph Möllers, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und Permanent Fellow des Wissenschaftskollegs in Berlin-Grunewald, dessen Buch „Freiheitsgrade. Elemente einer liberalen politischen Mechanik“ prämiert wurde. Dabei handelt es sich, so die Begründung der Tractatus-Jury, um „den geglückten Versuch (…), die seit dem 18. Jahrhundert umlaufenden liberalen Ideen zur freiheitlichen Ordnung der Gesellschaft für unsere Gegenwart zu prüfen. In 349 kurzen Mini-Essays, die durch Verweise miteinander verbunden sind, entwickelt Möllers ein Mosaik der Freiheit, wie es klarer und in seiner Vielfältigkeit dennoch schillernder nicht zu denken ist.“
In der Laudatio ging Michael Krüger des Näheren darauf ein, wodurch der „politische Reiseführer, der ein liberales Orientierungsmuster entwirft“, wie Möllers selbst sein Buch nennt, die Jury voll und ganz überzeugte. Dieses habe aus verschiedenen Gründen fasziniert, wie etwa durch seine ungewöhnliche, die Phantasie anregende Form oder auch durch die Vielzahl an oft in Sentenzen zusammengefassten Ideen. Gedankenreich und gespickt mit Verweisen war auch die Laudatio, in der Krüger auf die Herausforderung, aus der Fülle wie auch Breite an gelungenen philosophischen Essays zu wählen, ebenso einging wie auf die vermutlichen historischen Vorbilder für die hochkomplexe Struktur des Werks sowie nicht zuletzt auf die Entwicklung des Liberalismus und dessen Einschätzung in den letzten Jahrzehnten, kombiniert mit einer kritischen Zeitdiagnose. „Und heute lese ich, lesen wir staunend in dem Buch von Christoph Möllers, mit welcher Sorgfalt, aber auch brennenden Interesse, mit welcher Lust und Empathie, mit welchem Scharfsinn er sich des Liberalismus annimmt, um das Auslaufmodell wieder flott zu kriegen!“ Ludwig Muxel bezeichnete Christoph Möllers bei der offiziellen Verleihung des Tractatus 2021 einen wahrlich würdigen Preisträger und gratulierte ihm im Namen des Vereins Philosophicum Lech.
Fulminante Dankesrede des Tractatus-Preisträgers Christoph Möllers
Überreicht werden im buchstäblichen Sinne konnte der Essay-Preis allerdings nicht, da Christoph Möllers zurzeit als Thomas Mann Fellow in Pacific Palisades, einem Stadtteil von Los Angeles in Kalifornien weilt. Zugeschaltet per Zoom und Videowall war er bei dem Festakt dennoch präsent und merkte einleitend an, dass er sich im Arbeitszimmer des deutschen Literaturnobelpreisträgers befinde. Nachdem Möllers zunächst seinem Bedauern Ausdruck verlieh, nicht in Lech sein zu können, betonte er seine besondere Freude über den Preis aus drei Gründen, wie er erläuterte. Der erste Grund sei tatsächlich, dass der Preis aus Österreich kommt, ist doch sein Eindruck, „dass die Öffentlichkeit vielleicht etwas kritischer, das Geschmacksurteil vielleicht noch etwas strenger, das Formbewusstsein vielleicht noch etwas höher, der Sinn für unkonventionelle Ästhetik vielleicht noch etwas größer als in Deutschland“ sei. Als zweiten Grund nannte Möllers, dass die Prämierung etwas mit der Form des Buches zu tun hat, was ihn sehr stolz mache, sei die Arbeit daran doch schwierig gewesen. Ein Ziel: „Das Buch ist dezidiert darauf angelegt, die Lesenden ein gewisses Stück weit auch mit Fragen allein zu lassen, Dinge offen zu lassen (…). Es ist in gewisser Weise auch Teil meines Verständnisses davon, wie Liberalismus praktiziert werden muss. Das hat zum Ergebnis, dass sich die Leserinnen und Leser selbst ihre Gedanken machen und überlegen müssen, wie sie sich in einen politischen Prozess einbeziehen.“ Der dritte Grund sei der Name des Preises, denke man bei diesem doch an Autoren, „die viele Etagen höher in der Geistesgeschichte logieren“ und ihm tatsächlich „als unerreichbare Vorbilder“ gedient haben – wie Wittgenstein, Spinoza oder Theodor W. Adorno, der seine Minima Moralia in Kalifornien geschrieben hat, wie Möllers nebenbei anmerkte. In Hinblick darauf, dass das lateinische Wort Tractatus auf Deutsch Abhandlung bedeutet, habe er allerdings eher einen Anti-Tractatus geschrieben. Sei sein Buch doch ein Versuch, „vorzuführen, warum es im Bereich der politischen Philosophie eben gerade nicht richtig ist, systematische Abhandlungen zu schreiben, weil damit der notwendige Widerspruchsreichtum der politischen Praktik nicht eingefangen wird.“ Im Weiteren schlug der Rechtsphilosoph noch einen Bogen vom Begriff der Dankesrede zum Inhalt seines Werks, indem er über die Bedeutung des Verdienstes reflektierte und dialektisch anmerkte, dass Dankbarkeit eigentlich der Gegenbegriff zu Verdienst sei, er sich aber nichtsdestoweniger für die Verleihung des Tractatus herzlich bedanke. Barbara Bleisch brachte abschließend den Charakter von Möllers Dankesrede, samt der Brillanz der Gedankengänge auf den Punkt: „Es war herrlich, Ihnen zuzuhören.“
Weitere Informationen auf www.philosophicum.com
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