PM Tractatus-Preisverleihung und Vortragsreigen beim Philosophicum Lech 2018
Tractatus-Preisverleihung und Vortragsreigen beim Philosophicum Lech 2018
Feierliche Verleihung des Tractatus an Thomas Bauer und Vielfalt der Vorträge beim Philosophicum Lech
Zum Jubiläum des Tractatus wurde wieder eine wahre Perle philosophischer Essayistik prämiert. Thomas Bauer freute sich bei der feierlichen Verleihung am Freitagabend über den hochdotierten Preis des Philosophicum Lech, den er exemplarisch für seinen überraschenden Bestseller „Die Vereindeutigung der Welt“ erhielt. Sein so elegantes wie entschlossenes Plädoyer gegen den Verlust der Vielfalt könnte gewissermaßen als ein Leitfaden für das Programm des transdisziplinären Symposiums in Lech am Arlberg gelesen werden.
Als ein alljährliches Glanzlicht des Philosophicum Lech feierte der Tractatus am gestrigen Abend ein Jubiläum. Bereits zum zehnten Mal wurde der renommierte Essay-Preis vergeben. Mit 25000 Euro zählt er dank der Großzügigkeit anonymer privater Sponsoren zu den höchstdotierten im deutschsprachigen Raum. Die Liste der Preisträger liest sich wie eine Lektüreempfehlung für Liebhaber philosophischer Essayistik mit hohem Anspruch an sprachliche Eleganz und Originalität:
Angefangen beim Preisträger von 2009, dem bekannten österreichischen Autor und Philosophen Franz Schuh, einem wahren Meister der essayistischen Form, der in weiterer Folge bis 2017 ein Jury-Mitglied des Tractatus war. Gefolgt von weiteren prominenten Namen wie Kurt Flasch, Norbert Bolz, Herbert Schnädelbach und Kurt Bayertz, 2014 ging der Preis an den Schweizer Schriftsteller und Philosophen Peter Bieri, im folgenden Jahr an den deutschen Journalisten und Literaturkritiker Ulrich Greiner sowie 2016 an den Soziologen und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa. Vergangenes Jahr wurde Ralf Konersmann für sein schönes „Wörterbuch der Unruhe“ ausgezeichnet, und Freitagabend, am 20.09.2918 stieß ein weiterer exzellenter Essayist zu der illustren Runde, die dem Tractatus zur Ehre gereicht.
Feierliche Verleihung des Tractatus 2018 an Thomas Bauer
„Philosophie ist Freiheit. Sie hält den Raum des Fragens offen, sie erschüttert verfestigte Denkmuster und Vorurteile. In ihren besten Momenten verhilft sie uns dazu, die Welt in einem neuen Licht zu sehen. Eben das gelingt Thomas Bauer in seinem Essay ‚Die Vereindeutigung der Welt‘“, lautet es einleitend in der Jury-Begründung zur Verleihung des Tractatus 2018. Mit dem Im Februar 2018 im Reclam-Verlag erschienenen, relativ schmalen Band von knapp über 100 Seiten ist dem Arabisten und Islamwissenschaftler Thomas Bauer ein großer Wurf gelungen. Seine kritische Zeitdiagnose unter dem Titel „Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt“ sorgte weit über die Wissenschaftskreise hinaus für Aufsehen. Seine kritische Abhandlung erfüllt sämtliche Kriterien für die Vergabe des Tractatus geradezu vorbildlich: von der Originalität des Denkansatzes über die Gelungenheit der sprachlichen Gestaltung bis zur Relevanz des Themas.
„Das Buch von Thomas Bauer ist politisch aktuell und hochrelevant. Doch das ist längst nicht allein der Grund, warum man es lesen sollte. Dieser liegt vor allem darin, dass uns Thomas Bauer etwas Tiefgründiges zu sagen hat – über die Bedrohung von Freiheit durch Normierung, durch Vereindeutigung, durch die Abschaffung von Ambiguität“, so Thomas Vašek bei der Laudatio für den Tractatus-Preisträger. Vašek ist Gründungschefredakteur der Philosophiezeitschrift „Hohe Luft“ und neues Jury-Mitglied in Nachfolge von Franz Schuh. Des Weiteren gehören zur Drei-Länder-Jury die Philosophin und Journalistin aus der Schweiz Barbara Bleisch sowie der deutsche Schriftsteller und ehemalige Verleger Michael Krüger, den Vorsitz (nicht stimmberechtigt) führt Konrad Paul Liessmann, der wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech. In der Jury-Begründung zur Verleihung des Tractatus 2018 an Thomas Bauer heißt es des Weiteren: „Seine These ist überraschend. Wir leben nur scheinbar in einem Zeitalter unüberblickbarer Vielfalt. Tatsächlich verlieren wir immer mehr die Bereitschaft, Pluralität und Mehrdeutigkeit zu ertragen. Unsere ‚Ambiguitätstoleranz‘ schwindet.“ Letzterer Begriff ist zentral in der Analyse des Professors für Islamwissenschaft und Arabistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Gemeint ist die Fähigkeit, Uneindeutigkeiten wie auch Widersprüche auszuhalten und Ambivalenzen zu akzeptieren.
Bei seiner Dankesrede zeigte sich Thomas Bauer tief bewegt und verwies einleitend darauf, dass er seit mehr als zwanzig Jahren nach Vorarlberg kommt, insbesondere um die Schubertiade zu besuchen. So habe ihn die musikalische Umrahmung der Preisverleihung besonders begeistert. Geboten wurde ein eigens für den Anlass komponiertes Stück in zwei Sätzen für Streichtrio aus der Feder von Markus Nigsch, der am 1. Oktober den Kompositionspreis des Landes Vorarlberg erhält. Der Festakt in der Neuen Kirche Lech war wieder bestens besucht und unterstreicht den Stellenwert des Tractatus, der auf Anregung des Schriftstellers Michael Köhlmeier als Beitrag zur Standortbestimmung in philosophisch und gesellschaftlich relevanten Diskursen ins Leben gerufen wurde. Der Bürgermeister von Lech Ludwig Muxel, der den Tractatus 2018 gemeinsam mit dem Obmann des Vereins Philosophicum Lech Guntram Lins an Thomas Bauer überreichte, richtete in seinen Schlussworten einen besonderen Dank an die Sponsoren für deren überaus großzügige Unterstützung.
Vielfältig und vertiefend – die Vorträge des Philosophicum Lech 2018
Ein exzellentes Beispiel dafür, was die vom Tractatus-Preisträger Thomas Bauer hochgehaltene Ambiguität, heißt auch Offenheit der Interpretation betrifft, lieferte am Freitagvormittag Josef Imbach mit seinem Vortrag „Ein großer See mit brennendem Schlamm. Höllendarstellungen in der christlichen Kunst“. Der ehemalige Professor für Fundamentaltheologie und Grenzfragen zwischen Literatur und Theologie an der Päpstlichen Theologischen Fakultät „San Bonaventura“ in Rom, der seit seiner Emeritierung an der Seniorenuniversität Luzern unterrichtet, bot eine fesselnde kunsthistorische Erkundung, gespickt mit Religionsphilosophie und Humor. „Offenbar war man der Auffassung, dass es nicht genügt, die himmlischen Freuden darzustellen, um die Gläubigen zu einem gottgefälligen Leben zu motivieren. Wirksamer schien es, ihnen die Hölle heiß zu machen. Dazu kommt, dass die Rede von der jenseitigen Gerechtigkeit manchmal von geradezu unmenschlichen Rachegelüsten diktiert wurde.“
Den zweiten vormittäglichen Vortrag hielt die Professorin für Islamwissenschaft der Universität Bonn sowie der Evangelisch-Theologischen Fakultät Leuven/Belgien Christine Schirrmacher. Als Mitglied gesellschaftspolitischer Beratungsgremien wie des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Menschenrechte und auf nationaler wie internationaler Ebene an Dialoginitiativen und Diskursen mit muslimischen Theologen beteiligt, ist sie eine ausgewiesene Expertin in Fragen zum Islam. Unter dem Titel „Herr! Bewahre uns vor der Strafe des Höllenfeuers“: Gericht und Hölle im Kontext von Koran, islamischer Theologie und Salafismus“ gab sie zunächst detailliert Einblick in die Bedeutung von Tod und Sterben im Islam, auch hinsichtlich des Märtyrertodes. Es folgten Ausführungen über islamische Vorstellungen zum Jüngsten Gericht, dem Paradies und der Hölle sowie schließlich Erläuterungen, warum letztere in den salafistischen Hauptströmungen eine besondere Rolle spielt.
Freitagnachmittag referierte zunächst der Titularprofessor für Neuere Deutsche Literatur sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Basel Manfred Koch. Sein Vortrag „Infernalische Kreativität. Die Hölle als Heimstatt der Künstler von Dante bis Thomas Mann“, erwies sich als eine höchst unterhaltsame literatur- und motivgeschichtliche „Expedition“ von der Hölle bis ins Paradies durch Dantes „La divina commedia“ und Goethes Faust. „Dank Dante hatte das moderne europäische Individuum seinen ersten großen Auftritt in der Hölle.“
Es folgte der Vortrag über „Register des Unerträglichen“ von Christian Grüny, Privatdozent an der Universität Witten/Herdecke mit den Schwerpunkten Ästhetik, Phänomenologie, Philosophie der Leiblichkeit und Kulturphilosophie sowie u. a. Mitglied des Beirats der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik. Bei diesem ging er auf die Foltermethoden der CIA genauso ein wie auf seinen eigenen Besuch beim Zahnarzt und beeindruckte mit vertiefenden philosophischen Reflexionen zum Begriff und Phänomen des Unerträglichen, der Leiblichkeit und der Verletzbarkeit. „Das mag zynisch klingen, aber indem wir sensibel für die Verletzlichkeit des Anderen sind, wissen wir nicht nur, wo wir ihn schonen müssen, sondern auch, wo wir ihn angreifen können.“ Die fabelhaften Vorträge fanden große Resonanz, wie nicht zuletzt an den jeweils anschließenden Publikumsdiskussionen zu merken war. Auch die folgenden Tage des Philosophicum Lech 2018 versprechen spannende Referate und Debatten.
Weitere Informationen unter www.philosophicum.com
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