Feierliche Verleihung des Tractatus und Vortragsreihe des 23. Philosophicum Lech
Lech, 2019-09-28
Feierliche Verleihung des Tractatus an Lisa Herzog und erhellende Vorträge zu „Die Werte der Wenigen. Eliten und Demokratie“
Die feierliche Verleihung des Tractatus 2019 am Freitagabend erwies sich als ein Glanzlicht und fügte sich auch thematisch stimmig ins Philosophicum Lech 2019. Prämiert wurde das richtungsweisende Werk „Die Rettung der Arbeit. Ein politischer Aufruf“ von Lisa Herzog, die darin u. a. einer Demokratisierung der Wirtschafts- und Arbeitswelt das Wort redet. Die renommierte Philosophin und Sozialwissenschaftlerin gehört auch zu den diesjährigen Referenten, die zum Thema „Die Werte der Wenigen. Eliten und Demokratie“ tiefgreifende Analysen und Thesen zu hochbrisanten gesellschaftspolitischen Entwicklungen bieten.
Die alljährliche Verleihung des Tractatus gilt als ein Höhepunkt des Philosophicum Lech und von seiner Intention her als eine Würdigung herausragender Publikationen auf dem Felde geistiger Auseinandersetzungen und Standortbestimmungen. Dank privater Sponsoren mit 25.000 Euro hoch dotiert, genießt die Auszeichnung auch aufgrund der bisherigen Preisträger sowie prämierten Werke ein hohes Renommee und gibt verlässlich Auskunft über herausragende Qualität im Bereich philosophisch-kulturwissenschaftlicher Essayistik. Die hochkarätige dreiköpfige Jury, bestehend aus der Philosophin Barbara Bleisch(CH), dem Schriftsteller und ehemaligen Verleger Michael Krüger(D) sowie dem Autor und Journalisten Thomas Vašek(A), erstellte im Juli zunächst wieder eine Shortlist. Die darin gelisteten Veröffentlichungen dürfen bereits als ausgezeichnet im Sinne von empfehlenswert verstanden werden, erfüllen sie doch die vorrangigen Auswahlkriterien, als da wären: die Originalität des Denkansatzes, die Gelungenheit der sprachlichen Gestaltung und die Relevanz des Themas. Nach eingehender Jury-Diskussion wurde schließlich das Buch „Die Verteidigung der Arbeit. Ein politischer Aufruf“ für preiswürdig befunden. Somit erhält den Tractatus 2019 die Philosophin und Sozialwissenschaftlerin Lisa Herzog.
Feierliche Verleihung des Tractatus 2019 an Lisa Herzog
Die Verleihung des Tractatus 2019 fand am Freitagabend in feierlichem Rahmen in der Neuen Kirche Lech statt. Bei ihrer Laudatio auf die Preisträgerin kam Barbara Bleisch auch auf den geglückten Charakter des Werkes zu sprechen: „Lisa Herzog hat ein Buch geschrieben, das wir jetzt brauchen. Und sie hat damit auch gezeigt, was praktische Philosophie vermag.“ Diese Denkdisziplin sei in jüngster Zeit wieder dem Vorwurf ausgesetzt, entweder zu wenig praxisnah zu sein oder die kritische Distanz aufzugeben. „Unsere Preisträgerin überzeugt mit einem Mittelweg und gibt im besten Sinne Denkanstöße.“ Das im Frühjahr bei Hanser Berlin erschienene Buch der Professorin für Politische Philosophie und Theorie an der Hochschule für Politik der Technischen Universität Münchenfand starke Resonanz und stieß Diskussionen an. Lisa Herzog stellt darin elementare Fragen und entwirft teils überraschende neue Perspektiven zur Gestaltung der Arbeitswelt. „Ihr Buch über die Rettung der Arbeit ist vor allem ein Buch über die Sinn- und Werthaftigkeit von Arbeit und darüber, wie sich diese bewahren lassen angesichts einer radikalen Transformation, in der sich unsere gesamte Arbeitswelt befindet. Verteidigen will sie dabei nichts weniger als unsere Freiheit, unsere Selbstbestimmung und die gegenseitige Anerkennung“, so Bleisch.
Bei ihrer Dankesrede kam Lisa Herzog neben der großen Freude über die Auszeichnung auch auf ihr schlechtes Gewissen zu reden. Schließlich schreibe sie über Egalitarismus und Gerechtigkeit und finde, dass in der besten aller Welten die Einkommens- und Vermögensunterschiede viel kleiner wären, als es derzeit der Fall ist. „ich stehe da und sinniere immer noch, wie man es schaffen könnte, eine Gesellschaft so zu gestalten und so zu leben, dass wir wirklich gleiche Anerkennung für Leute haben, die vollkommen unterschiedliche Formen von Arbeit erledigen, die alle ihren Wert haben“, so die Tractatus-Preisträgerin 2019, die an der Schnittstellte von Ökonomie und Philosophie forscht und lehrt. Womöglich knüpft sie an die obigen Gedanken an, wenn sie heute, Samstag ihr Referat zum Thema „Elite ohne Verantwortung? Die missverstandene Meritokratie“ halten wird.
Start der Vortragsreihe des Philosophicum Lech 2019
Gestartet ist die Vortragsreihe des Philosophicum Lech 2019 am Freitagvormittag. Den Anfang machte Alexander Grau, Philosoph, Publizist und Freier Journalist, bekannt u. a. durch seine Kolumne „Grauzone“ bei Cicero-online, zum Thema „Wo wir sind, ist vorne. Die neuen Eliten und ihre Werte“. Zunächst präsentierte er sechs Thesen zur Ideologie der neuen Eliten, beginnend mit einer berühmten von Karl Marx: „Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.“ Und endend mit jener, dass die spezifische Moral, die aus dem Lebensgefühl der neuen Eliten resultiert, letztlich das entscheidende Distinktionsmerkmal sei, das sie von den Nichteliten wie auch den alten Eliten trennt. Um historisch herzuleiten, woraus die neuen Milieus resultieren, erläuterte er die Geburt und Weiterentwicklung der bürgerlichen Ideologie – bis in die Gegenwart, die er auf folgende Formel brachte: „Die neuen Eliten transformieren die Marotten konsumorientierter Selbstverwirklichungsgesellschaften und Erfordernisse einer spätindustriellen, modernen, digitalisierten und globalisierten Wirtschaft zu einer Moral und inszenieren sich als deren Avantgarde.“ In einer seltsamen, aber mächtigen Alliance spielten sich dabei die akademisch geprägte emanzipatorische neue Linke und die Erfordernisse des spätmodernen Kapitalismus in die Karten.
Es folgte der Beitrag von Wolfram Eilenberger– Philosoph, Schriftsteller und Publizist, Gründungschefredakteur des Philosophie Magazins und Moderator der „Sternstunde Philosophie“ im SRF – unter dem Titel „Die offenbare Elite und ihre Feinde – Hannah Arendt, Ayn Rand und die Diabolik des Mittelmaßes“. Eilenbergers Referat war größtenteils ein flammender Aufruf, sich mit der Gedankenwelt von Ayn Rand, der „wirkmächtigsten Philosophin des 21. Jahrhunderts“ auseinanderzusetzen. „Als die wohl offensivste Verteidigerin von Eliten, besser gesagt eines radikalen Individualismus“, wie er unterstrich, stellte er ihre Philosophie sozusagen als starkes Gegenmittel gegen Selbstvergessenheit und Selbstverleugnung vor. So legten etwa ihre Romane mit größter Fernsicht und Präzision Formen der Selbstunterwanderung frei. Dabei rückte er die drei Werte asozial, autonom und autark in den Fokus und meinte dazu, durchaus etwas provokativ: „Ich sehe die vorrangige Funktion des Philosophierens im Wachalten für die Möglichkeit einer so bestimmten Lebensform.“
Freitagnachmittag referierte dann zunächst Katja Gentinetta– Politikphilosophin, Publizistin und Lehrbeauftragte an den Universitäten St. Gallen, Zürich und Luzern sowie Moderatorin der NZZ Standpunkte – zur Frage „Eliten in der Politik: Wem dienen sie?“. Dabei plädierte sie für eine sachlich begründete, differenzierende Elitenkritik anhand eines Qualitätskriteriums, das bereits Platon formulierte und von Aristoteles ausgeführt sowie systematisiert wurde: „Gute Regierungen dienen den Regierten, schlechte Regierungen dienen sich selbst.“ Die Tendenz zu Zweitem und die Ablösung der Eliten durch ihre vorheriger Kritiker schilderte sie anhand eines diesbezüglich nahezu unerschöpflichen Fundus: den französischen Revolutionen von 1789, 1830 und 1848. Als Zeitzeuge und Quelle diente ihr Alexis de Tocqueville, der „die politischen Eliten dieser Jahre und ihre Verfehlungen besser, näher und direkter“ schildert als jeder andere. So bezog sie sich auch auf dessen Unterscheidung von Demokratie und Sozialismus. In Ablehnung einer ideologisch getriebenen Elitenkritik sprach sie sich für eine aus, die sich am Charakter der Regierenden festmacht.
Den abschließenden Vortrag mit dem Titel „Politische Eliten – Repräsentation oder Usurpation?“ hielt Isolde Charim, Philosophin und freie Publizistin, Kolumnistin der „taz“ und des „Falter“. Unter Usurpation versteht sie, dass kein Austausch zwischen Politikern und Bevölkerung stattfindet. Ausgehend von der für sie zentralen Frage, wie sich das Verhältnis von Eliten und Nicht-Eliten gestaltet, konstatierte Charim eine Oligarchisierung. Diese gründe zum einen auf der einseitigen Kündigung des Gesellschaftsvertrages durch die ökonomischen Eliten, die „Sezession der Reichen“. Zum anderen auf dem politischen Gesicht dieser Sezession, einer Elitenherrschaft, die vorwiegend den Eigennutz und weniger das Gemeinwohl im Auge hat. Legitimiert werde dies durch Meritokratie, wobei „Leistungsträger“ ein zentraler Begriff dieser Erzählung sei. Aus gesellschaftlicher Bindung wurde Bindungslosigkeit, so Charim. „Man muss sehen, dass diese Krise der Repräsentation tiefer gehend ist als nur ein moralisches Versagen der Eliten. Die Abgehobenheit der Eliten vollzieht nur das Prinzip einer Gesellschaft der radikalisierten Individualisierung und Konkurrenz – jenes Prinzip, welches sowohl Repräsentation als auch Gemeinwohl verhindert.“ Die neuen Eliten können nicht durch Ethik gewonnen werden, sondern durch ihr eigenes Prinzip: den Erfolg. Denn egalitäre Gesellschaften sind in jeder Hinsicht erfolgreicher.
PHI-2019_Tractatus und Freitag
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