Feierliche Verleihung des Essay-Preises des Philosophicum Lech
Ein würdiger Preisträger des Tractatus
Am gestrigen Abend erfolgte im Rahmen des Philosophicum Lech die feierliche Verleihung des Tractatus. Der Preisträger Peter Bieri, bedeutender Schweizer Philosoph und erfolgreicher Romancier, fühlte sich geehrt und war bewegt von der Laudatio des Schriftstellers Franz Schuh. Der Festakt bildete den krönenden Abschluss des zweiten Tages des Symposiums, der mit ebenso engagierten wie differenten Vorträgen für starke Resonanz bei den Teilnehmern sorgte.
„Ehre ist eigentlich nicht ein Wort, das zu meinem Wortschatz gehört. Aber jetzt zögere ich nicht zu sagen, dass ich mich durch den Preis geehrt fühle“, schloss Peter Bieri seine Dankesrede vor der feierlichen Überreichung des Essay-Preises des Philosophicum Lech am gestrigen Abend. Der Schweizer Philosoph ist bereits der sechste Preisträger des Tractatus, der als eine der renommiertesten Auszeichnungen in diesem Bereich gilt. Prämiert wurde er für sein Buch „Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde“, das als ein Meisterwerk der lebenspraktischen Philosophie bezeichnet werden darf. Wie der Titel schon andeutet, durchleuchtet er den meist abstrakt bleibenden Begriff der Würde und veranschaulicht anhand etlicher Beispiele aus dem Leben und der Literatur dessen vielseitige Aspekte, wobei seine philosophische Reflexion nicht zuletzt durch die allgemeinverständliche Argumentation und Sprache besticht.
„Diese Klarheit in den Begriffen durch Anschauung zu schaffen, vermag Bieri. Bringt es zusammen, weil er, der Philosoph, ein Schriftsteller ist. Ein Romancier. Und noch dazu, was ja nicht sein müsste, ein anerkannter. Und ein sehr erfolgreicher.“ so Franz Schuh in seiner Laudatio, die ebenso von literarischer Eleganz und dem typischen Sprachwitz des Wiener Kulturpublizisten und Philosophen geprägt war. Franz Schuh sprach damit Bieris zweite Leidenschaft, das Verfassen von Romanen an, die er unter dem Pseudonym Pascal Mercier verfolgt, als der er 2004 mit „Nachtzug nach Lissabon“ einen Welterfolg landete. Rüdiger Safranski, der zusammen mit Ursula Pia Jauch und Franz Schuh die Jury des Tractatus bildet, bezeichnet Peter Bieris Texte als ein „narratives Philosophieren“, wie Schuh anmerkte. Bevor der von der Laudatio sichtlich bewegte Peter Bieri im Anschluss zum offiziellen Festakt seine Bücher signierte, rundete Bürgermeister Ludwig Muxel denselben mit nachdrücklichem Dank an den Sponsor des Tractatus der letzten fünf Jahre wie auch an die nunmehrigen drei, ebenfalls anonym bleibenden Gönner ab.
Die Verleihung des Tractatus war der krönende Abschluss des gestrigen Tages, der von höchst engagierten Vorträgen, in unterschiedlichster Reflexion des heurigen Themas geprägt war. Das erste Referat illustrierte die Komplexität der Frage von Schuld und Verantwortung in sehr anschaulicher Weise, widmete sich die Vortragende Ekaterina Poljakova doch „Dostojewskis Idee der Verantwortung“ und damit einem Autor, der mit seinen tiefgreifenden psychologischen Romanen in die Weltliteratur einging. In Analyse seiner beiden Werke „Verbrechen und Strafe“ (vormals übersetzt mit „Schuld und Sühne“ – Titel des heurigen Philosophicums) sowie „Die Brüder Karamasov“ drang sie in die moralischen Dimensionen der Welt Dostojewskis vor, die voll von Widersprüchen und Konflikten, nicht nur zwischen den Figuren, sondern auch zwischen deren Wünschen und Ideen sowie ihren Taten ist. Laut Poljakova sind die Protagonisten, von ihren Überzeugungen getrieben, quasi zur Tat verdammt und leiden bzw. zerbrechen nicht an der Unmoral ihres Handels, sondern an deren tief empfundenen Unfreiheit.
Mit kulturellen Grundlagen von Moral setzte sich anschließend Maria-Sibylla Lotter, Professorin für Ethik und Ästhetik an der Ruhr-Universität Bochum, auseinander. In ihrem Referat stellte sie dem von der christlichen Tradition geprägten Schuld-Modell, das sie als „vorherrschende Ideologie moralischer Verantwortung“ bezeichnete, die „soziale Praxis sozialer Verantwortung“ gegenüber, worunter sie unter anderem die Kultur einer angemessenen Reaktion auf Verletzung oder Missachtung anderer versteht. Während das bei uns dominierende Schuldverständnis den Täter in den Mittelpunkt rückt, ihn unter dem Postulat der freien Urheberschaft seiner Tat, auch wenn diese unmoralisch ist, auch noch überhöht, fordert der von ihr skizzierte Umgang mit Schuld, der sich in vielen nicht-christlichen Kulturen findet, insbesondere Feingefühl, wobei das Opfer und die moralische Verpflichtung zur Kompensation in den Vordergrund treten.
Wurden bereits die Vorträge des Vormittags breit und mit teils großem Detailwissen zu Dostojewskis Romanen von den Teilnehmern des Philosophicums diskutiert, lösten auch die Referate am Nachmittag zahlreiche Publikumsfragen und Debatten aus. Und das wohl nicht zuletzt aufgrund emotionaler Reaktionen auf die betroffen machenden Vorträge. So las die Philosophin Katharina Lacina, nach einer kurzen Einführung, aus dem Buch „Der Hauslehrer“ des Züricher Philosophen Michael Hager, in dem die damals großes Aufsehen erregende Geschichte des 23-jährigen Jus-Studenten Ferdinand Dippold geschildert wird. 1903 wurde der Hauslehrer in Bayreuth angeklagt, nachdem er einen Zögling zu Tode misshandelt hatte. Während Dippold sich damit rechtfertigte, dem Jungen das Laster der Onanie auszutreiben, die damals als moralisch wie auch medizinisch höchst bedenklich gesehen wurde, kehrte sich das sexualmoralische Verdikt der Öffentlichkeit im Laufe des von Medienhetze begleiteten Prozesses gegen ihn.
Noch betroffener machte der Vortrag von Michael Schefczyk, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Lüneburg, der die zentralen moralischen Implikationen eines Schlüsselwerks des großen deutschen Philosophen Karl Jaspers thematisierte. In „Die Schuldfrage“ hatte dieser bereits 1946 Stellung zum Umgang der Deutschen mit ihrer historischen Schuld durch die Verbrechen der Nazi-Zeit bezogen, wobei die differenzierte, doch nichtsdestoweniger kompromisslose Argumentation und Wertung Jaspers mit zum Selbstverständnis der BRD beigetragen haben dürfte. Dem mangelnden, ja größtenteils völlig fehlenden Schuldempfinden von Akteuren des „deutschen Verbrecherstaates“, darunter KZ-Kommandanten, auf der Spur, schlug Schefczyk eine Brücke zur Gegenwart, indem er betonte, „dass das Verständnis von persönlicher Verantwortung auf den Stand moderner, hochkomplexer Gesellschaften gebracht werden muss“. Umso dringlicher, als man das jetzige Zeitalter als eines „nach der Verantwortung“ verstehen könnte.
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