Ausklang und Ausblick des 19. Philosophicum Lech
Mit zwei fesselnden Vorträgen von Markus Hengstschläger und Dietmar Mieth sowie dem festlichen Vorarlberg Brunch fand gestern das Philosophicum Lech seinen Abschluss. Über fünf Tage hinweg bot das interdisziplinäre Symposium richtungsweisende Beiträge zu brisanten Themen wie dem Transhumanismus. Die durchwegs positive Resonanz bei den Teilnehmern und Referenten zeugt vom anhaltenden Erfolg der Veranstaltung, die 2016 ein Jubiläum feiert.
Zu den besonderen Momenten beim Philosophicum Lech zählt die Verlautbarung des Themas im kommenden Jahr. Auch aufgrund des anstehenden Jubiläums mit größter Spannung erwartet, sorgte die Ankündigung von Bürgermeister Ludwig Muxel diesmal kurz für Irritation, dann Erheiterung und schließlich gesteigerte Neugier. „Vom 21. bis 25. September 2016 wird wieder philosophiert:‚Über Gott und die Welt. Philosophieren in unruhiger Zeit‘“,gab Muxel bekannt – und verdeutlichte schließlich den Zuhörern, dass es sich bei Letzterem um den Titel des Philosophicum Lech 2016 handelt. Was unter der doppeldeutigen Überschrift zu erwarten ist, wird noch nicht verraten. Sicher aber wird der besondere Anlass gewürdigt, wenn sich Lech am Arlberg dann bereits zum zwanzigsten Mal über fünf Tage hinweg als ein Zentrum der intellektuellen Auseinandersetzung präsentiert. Längst hat sich das Philosophicum Lech als interdisziplinäres Symposium mit besonderem Charme international etabliert.
Sowohl wissenschaftlich als auch gesellschaftlich gesehen höchst brisant, galt der Diskurs beim heurigen Philosophicum Lech den diversen Optimierungsstrategien und Perfektionierungsfantasien infolge neuester technologischer Entwicklungen. Der Debatte über das sogenannte Enhancement – heißt die Erweiterung menschlicher Fähigkeiten durch operative, biochemische oder gentechnische Eingriffe – widmete sich am Samstagvormittag auch Johann S. Ach, der Geschäftsführer des Centrums für Bioethik der Universität Münster. Bei seinem Vortrag „Welche Menschen wollen wir? Zur Ethik der Verbesserung des Menschen“ führte er u.a. aus, dass für die ethische Bewertung solcher Verbesserungsmaßnahmen folgende vier Aspekte entscheidend seien: Ob das Recht auf eine offene Zukunft von Ungeborenen und Kindern gewahrt bleibt, ob das Recht auf Selbstbestimmung respektiert wird, ob die Freiheitsspielräume von Betroffenen nicht über Gebühr eingeschränkt werden und viertens, ob dadurch keine gravierenden sozialen und ökonomischen Ungleichheiten geschaffen werden.
Welche Rolle der Sport in der Diskussion spielt und inwieweit er diesbezüglich als Wegweiser fungieren könnte, wurde im darauf folgenden Beitrag von Claudia Pawlenka erörtert, die u. a. Leiterin des Forschungsprojektes „Human Enhancement“ an der Goethe-Universität in Frankfurt a. Main ist. (Da Frau Pawlenka erkrankt war, referierte stellvertretend Katharina Lacina vom Philosophischen Institut der Universität Wien.) Unter dem Titel „Das Streben nach Exzellenz im Sport – Perfektionierung des Menschen durch Doping?“ wurde im Vortrag von Pawlenka bereits einleitend darauf verwiesen, dass der Sport aufgrund des ersten Dopingverbotes von 1967 als ein gesellschaftlicher Vorreiter auf dem umkämpften Feld der Bioethik bezeichnet werden kann. Da er eine „Sonderwelt“, nämlich ein auf fixen Spielregeln beruhendes Betätigungsfeld ist und immer schon auf eine ganzheitliche – sprich körperliche, geistige und moralisch-sittliche – Verbesserung ausgerichtet war, würde er „eine Reinform menschlicher Eigenleistung“ verkörpern und könnte somit ein Korrektiv zur technizistischen Entwicklung des Menschen darstellen.
Bei der anschließenden Publikumsdiskussion wurden allerdings deutliche Zweifel an der Wirksamkeit des Dopingverbots im Sport artikuliert. Und nicht weniger lebendig zeigte sich auch jene nach den beiden Vorträgen am Samstagnachmittag. Beim ersten führte Karin Harrasser, Professorin für Kulturwissenschaft an der Kunstuniversität Linz, bereits im Titel einen neuen Begriff ins Feld. „Parahumanität. Technisches Handeln, Teilsouveränität und andere Tücken“ lautete die Überschrift zu ihren Überlegungen, die in der Wertschätzung eines (parahumanen) „wilden Neben- und Durcheinanders von unterschiedlichen Existenzformen“ mündeten. Durch ein Ja zur Technologie, doch nicht zwingend zum Enhancement und einer allumfassenden Möglichkeit zu Widerspruch. Im zweiten Vortrag beleuchtete Anne Siegetsleitner, Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Innsbruck, kritisch die ethischen Dimensionen sowie Implikationen des Transhumanismus, sprich jener zeitgenössischen philosophischen Strömung, die der Erweiterung menschlicher Möglichkeiten durch modernste Technologie das Wort redet.
Großen Anklang fand am Sonntagvormittag der Vortrag „Eine genoptimierte Menschheit“ von Markus Hengstschläger, Professor für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien und u. a. Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission. Mit Verweis auf neueste Fortschritte in der Gentechnologie, das „Gene Editing“ und die damit verbundenen Möglichkeiten, erklärte er zunächst den Unterschied zwischen der somatischen Gentherapie und der sogenannten Keimbahntherapie. Während erstere nur die „Korrektur“ bestimmter Zellen eines Menschen betrifft, wirkt sich zweitere (durch Eingriffe am Embryo) aufgrund der Vererbung auf sämtliche Zellen aus, was kaum noch vorhersehbare und jedenfalls irreversible Folgen hätte. Eine solcherart „endogene Fremdoptimierung der ganzen Menschheit“ wurde deshalb in Österreich verboten. Für die Bevorzugung zumindest partiell revidierbarer Manipulationen sprach sich im Anschluss auch Dietmar Mieth, emeritierter Professor für Theologische Ethik und Sozialethik an der Universität Tübingen, in seinem unterhaltsamen Referat „Zwischen Perfektionierung und Meliorisierung – Menschenbilder aus theologischer Sicht“ aus.
Der darauf folgende Austausch zwischen den Vortragenden und den Zuhörerschaft unter der bewährten Moderation von Konrad Paul Liessmann, dem wissenschaftlichen Leiter des Philosophicum Lech, machte deutlich, dass sich die Interdisziplinarität der Veranstaltung nicht zuletzt auch in der Vielfalt der Teilnehmer aus dem gesamten deutschsprachigen Raum widerspiegelt. Von einer Maturaklasse aus der Schweiz über Studenten und Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen bis hin zu Unternehmern und auch vielen Interessierten aus der Gastgebergemeinde fanden sich gewissermaßen sämtliche Generationen und Professionen unter den Teilnehmern des 19. Philosophicum Lech.
Ein beträchtlicher Teil davon sind langjährige Stammgäste, die sich beim schon traditionellen kulinarischen Abschluss, dem feierlichen Vorarlberg Brunch, bereits angeregt über das bevorstehende Jubiläum unterhielten. Aufgrund des absehbar enormen Interesses empfiehlt sich dringend eine frühzeitige Anmeldung ab 1. April 2016 auf www.philosophicum.com
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