Vortragsreihe des 23. Philosophicum Lech und kurze Vorschau auf 2020
Lech, 30.09.2019
Hochkarätige Vorträge und Ausklang des 23. Philosophicum Lech
Unter unterschiedlichsten Gesichtspunkten wurde an den letzten beiden Tagen des 23. Philosophicum Lech das heurige Thema „Die Werte der Wenigen. Eliten und Demokratie“ betrachtet. Das Spektrum an hochkarätigen Vorträgen reichte vom Plädoyer für eine partizipative Arbeitswelt über Daten zur Verteilung von Macht und Kapital bis hin zur Werteethik unserer Wohlstandgesellschaft. Die durchwegs positive Resonanz vonseiten der 600 Teilnehmer spiegelt den Erfolg des Symposiums. Beim abschließenden Vorarlberg-Brunch konnte bereits über das Thema des kommenden Jahres diskutiert werden.
Ein durchwegs positives Resümee zog Ludwig Muxel, der Bürgermeister von Lech, bei seinen Dankesworten in Namen des „Vereins Philosophicum Lech“ am gestrigen Tage. Das Interesse am nunmehr bereits zum 23. Mal abgehaltenen internationalen Symposium lässt nicht nach, ganz im Gegenteil. So früh wie noch nie, 14 Tage nach Freischalten der Onlineanmeldung im April war das Philosophicum Lech ausgebucht. Beim gestrigen „Vorarlberg-Brunch“, dem kulinarischen Ausklang, waren seitens der rund 600 Teilnehmer durchwegs positive Stimmen zu vernehmen. Sei es in Hinblick auf das hochaktuelle, politisch brisante Thema des heurigen Jahres. Sei es bezüglich der exzellenten, inhaltlich abwechslungsreichen Vorträge. Oder sei es hinsichtlich des Rahmens der renommierten philosophisch-kulturwissenschaftlichen Tagung. So galt der Dank von Muxel den vielen Beteiligten, die für den reibungslosen Ablauf wie auch einzigartigen Charakter der viertägigen Veranstaltung verantwortlich zeichnen. Nicht zuletzt hob er dabei die Vortragenden hervor, die wie immer vonKonrad Paul Liessmann,dem wissenschaftlichen Leiter des Philosophicum Lech, eingeladen worden waren. Sowohl was das Ineinandergreifen der wissenschaftlichen Ansätze – von der Philosophie über Kulturwissenschaften bis zur Soziologie – als auch die thematische Vielfalt und Kompetenz der Referenten anbelangt, beweist er dabei stets eine gute Hand. Entsprechend fachlich fundiert und gleichermaßen aufschluss- wie abwechslungsreich erwiesen sich die Beiträge der letzten beiden Tage.
Für eine partizipative Arbeitswelt und eine veränderte politische Perspektive
Samstagvormittag referierte zunächst die Philosophin und Sozialwissenschaftlerin Lisa Herzog, der am Abend zuvor der Tractaus 2019 – der renommierte und hoch dotierte Essay-Preis des Philosophicum Lech – verliehen worden war. Thematisch in Nähe zu ihrem prämierten Buch „Die Rettung der Arbeit. Ein politischer Aufruf“ verwies sie u. a. darauf, dass die soziale Anerkennung ein zentraler Aspekt im Arbeitsleben ist und dass die derzeit vorherrschende kompetitive Logik zum Kampf um dieselbe führt, was reihenweise gefühlte Verlierer erzeugt. Auch um die daraus resultierende Demotivation zu vermeiden, setzt Herzog der Konkurrenzgesellschaft eine alternative Vision entgegen. In dieser kommt es darauf an, dass alle Individuen ihren Platz in einem funktional ausdifferenzierten Netzwerk geteilter Arbeit haben, in dem es auf jede und jeden ankommt. Alle übernehmen Verantwortung für ihren jeweiligen Bereich, leisten damit einen wertvollen Beitrag und werden dafür gewürdigt. Mit diesem Plädoyer für ein produktives Miteinander statt Gegeneinander fand die Professorin für Politische Philosophie und Theorie an der Hochschule für Politik der Technischen Universität Münchengroßen Anklang beim Publikum.
Es folgte der Vortrag von Jan-Werner Müller, Professor für Politische Theorie an der renommierten Universität Princeton, der sich der Frage stellte: „Meritokratie und Demokratie. Geht das zusammen?“. Einleitend erläuterte er das Wesen und die Entwicklung der Meritokratie – der politischen Herrschaft einer durch Leistung und Verdienst ausgezeichneten Gesellschaftsschicht. Dieser stellte er als Gegenteil die von ihm so benannte „Lottokratie“ – die Auswahl politischer Funktionsträger durch Losentscheid – gegenüber, um schließlich zu erklären, inwieweit in beiderlei Fall ein wichtiger Aspekt der repräsentativen Demokratie missverstanden bzw. unterschätzt wird. Dabei ging er auf zahlreiche internationale Beispiele problematischer politischer Entwicklungen ein, wie den Brexit und die Präsidentschaft von Donald Trump. Statt den meist herangezogenen Erklärungen wie grassierende Ängste, eine Polarisierung der Gesellschaft u. a. m., sieht er die Ursache im Versagen von Parteien, der Torys und der Republikaner. Daraufhin betonte er die unverzichtbare Funktion der Parteien in der repräsentativen Demokratie: nämlich u. a. Konflikte bereits im Vorfeld zu bearbeiten und im Wechselspiel der Kräfte zu konsensualen Lösungen zu kommen.
Über die Gefährdung der Demokratie durch den Einfluss von Kapital und Eliten
In den beiden Vorträgen am Samstagnachmittag wurden zahlreiche aussagekräftige und in ihrer Dimension oft überraschende Fakten zur Wirtschafts- und Steuerpolitik sowie zur Einkommens- und Vermögensentwicklung, sprich zur immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich geboten. Zunächst erläuterte Michael Hartmann, Professor i. R. für Soziologie an der TU Darmstadt, auf eindrückliche Art, „Wie die Eliten unsere Demokratie gefährden“. In Bezug auf den wachsenden Erfolg von Rechtspopulisten illustrierte er am Beispiel der Wählerschaft der AfD, dass die soziale und materielle Situation der Menschen einen wichtigen Faktor hinsichtlich der Parteienpräferenz darstellt. Anschließend belegte er anhand umfassender Daten, inwieweit die neoliberale Politik bereits seit der Ära von Ronald Reagen und Margaret Thatcher, dann auch unter sozialdemokratischen Regierungen und bis heute zur Verschlechterung der Lebenslage unterer Einkommensschichten beiträgt. Eine maßgebliche Rolle spiele dabei die soziale Herkunft der Politiker und rekrutierten höheren Verwaltungsbeamten, wie er ebenfalls anhand konkreter Beispiele vor Augen führte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich durch einen Appell an die politische Vernunft und Einsicht etwas ändert, hält er für gering und plädiert stattdessen für eine merkliche Änderung der Steuerpolitik, insbesondere hinsichtlich der Vermögen.
Nahtlos daran anschließen konnte Christian Neuhäuser, Professor für Philosophie und geschäftsführender Direktor am Institut für Philosophie und Politikwissenschaft an der TU Dortmund. Unter dem Titel „Ethische und moralische Reichtumskritik: Über Geld, Macht und Demokratie“ schilderte er unter verschiedensten Gesichtspunkten, inwiefern die enorme Anhäufung von Kapital bei Wenigen ein ernstzunehmendes gesellschaftliches und in der Folge auch politisches Problem darstellt. Von den vielen Zahlen, die er dazu lieferte, seien nur die 2.208 Milliardäre (laut Forbes-Liste 2018) mit einem Durchschnittsvermögen von 4,8 Milliarden Dollar genannt. 157 der 200 größten wirtschaftlichen Akteure der Welt sind Unternehmen, nicht Staaten. Neuhäuser verwies darauf, dass über die mögliche Ungerechtigkeit von Reichtum kaum sachlich diskutiert wird. Es ginge nicht um eine vermeintliche Gier der Reichen, sondern vielmehr um eine „Gier-Struktur“ im derzeitigen Wirtschaftssystem, durch die immer mehr Leute den Eindruck bekommen, dass Gerechtigkeit in der Gesellschaft nichts zählt. Den Ungleichgewichten entgegenzuwirken sei ein Gebot der Stunde.
Der Duft der Distinktion und die Ambivalenz von Wertediskursen
Den Sonntagvormittag eröffnete das Referat von Wolfgang Müller-Funk, Professor für Kulturwissenschaften am Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Wien, mit dem Titel „Der Duft der Distinktion. Auserwähltheit im demokratischen Massenzeitalter. Ein kurzer Zustandsbericht“. Mit dem Hinweis, dass das französische Wort Elite die Konnotation des Auserwähltseins in sich trägt, machte er deutlich, dass Gesellschaften mit egalitärem Anspruch dazu tendieren, neue Formen der Besonderheit bzw. Exklusivität zu erzeugen. Weiters beleuchtete er dasgegenwärtige Unbehagen am System der repräsentativen Demokratie – einer Form, die egalitäre und elitäre Momente in sich vereinigt. Wie sich in vielen Ländern Europas zeige, sei diese Elite stets in Gefahr, von der Wut der von der Distinktion Ausgeschlossenen – „Wir sind das Volk“ – weggejagt zu werden. „Aber dieses Unbehagen kippt blitzschnell in Bewunderung für einen Führer um, der Partizipation an seinem Status verspricht, so wie die Eliten in Sport, Medien und Popularkultur“, betonte der Kulturwissenschaftler. Oben ankommen wollen irgendwie alle. In einer Kultur, in der Sieg, Erfolg und mediale Omnipräsenz zu jenen Werten gehören, die man ironischerweise als die der Vielen bezeichnen könnte, sind und bleiben es zugleich die der Wenigen. Moderne Eliten bedürfen einer Legitimierung.
Im letzten Vortrag des 23. Philosophicum Lech erklärte der freiberuflich tätige Autor, Kulturwissenschaftler und BeraterWolfgang Ulrich„Warum eine Werteethik immer eine Elitenethik ist und was sie heute so erfolgreich macht“. Mit Hinweis auf mehrere Slogans in Zusammenhang mit der gestrigen Nationalratswahl in Österreich – z. B. „Einer, der auf unsere Werte schaut“ – arbeitete er den Charakter der dominierenden Werteethik unserer Tage heraus. Aus der einstigen elitären Genieethik – gemäß der nur wenige Menschen, wie Künstler und Intellektuelle, dazu befähigt seien, Werten in einzelnen Handlungen Gestalt zu verleihen –, wurde eine nicht minder elitäre plutokratische Werteethik. Familie, Heimat oder auch Nachhaltigkeit sind Werte, die sich nur dann leben lassen, wenn man über entsprechende Ressourcen verfügt. Augenscheinlich machte dies Ulrich an auf den ersten Blick banalen Beispielen wie Joghurt-Marken und Kosmetikprodukten, ist mittlerweile doch fast jedes alltägliche Konsumgut dazu geeignet, Werte zu repräsentieren und sich durch deren Besitz in Szene zu setzen. Unabhängig von materiellen Voraussetzungen und somit anti-elitär ist hingegen die Tugendethik, durch welche sich ein jeder, etwa durch Nächstenliebe, auszeichnen kann. „Gewiss profitieren zu viele von der Wohlstandsgesellschaft, von der Konsumkultur und den Möglichkeiten, sich zu Werten zu bekennen, als dass es gegenwärtig erfolgversprechend sein könnte, die wertethische Orientierung der Gesellschaft überwinden zu wollen“, so Ulrich. Bei der anschließenden Diskussion strich Konrad Paul Liessmann heraus, dass in Grundgesetzen bzw. Verfassungen der westlichen Staaten nicht von Werten, sondern Grundrechten die Rede ist. „Darum sollte einen das inflationäre Gerede über Werte eigentlich gerade unter dieser menschenrechtlichen Perspektive in höchste Alarmstimmung versetzen. Sie sollten also jetzt in Panik geraten“, setzte er den Schlusspunkt mit einer Pointe.
Das Thema des Philosophicum Lech 2020
Bevor das 23. Philosophicum Lech beim beliebten Vorarlberg-Brunch und schönstem Herbstwetter zu Ende ging, wurde die Vorfreude auf das Symposium im kommenden Jahr bereits durch die Verkündigung von dessen Titel geweckt. „Als ob. Die Kraft der Fiktion“ lautet das Thema. Die Anmeldung startet am 6. April 2020.
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