19. Philosophicum Lech feierlich eröffnet
Feierliche Eröffnung des 19. Philosophicum Lech
Längst ein Fixtermin für treue Teilnehmer aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, erfolgte gestern die feierliche Eröffnung des Philosophicum Lech. Bei den Grußworten aus der Politik wurde nicht zuletzt der einzigartige Charakter des Symposiums hervorgehoben. Der interdisziplinäre Ansatz und der Anspruch von gesellschaftspolitischer Relevanz tragen dazu ebenso bei wie das besondere Ambiente von Lech am Arlberg. Ein höchst stimmiger Ort für geistigen Austausch abseits von akademischen Zwängen und tagespolitischen Auseinandersetzungen.
Eingestimmt durch den philosophisch-literarischen Vorabend und angeregt von einer unterhaltsamen Diskussion beim vorausgehenden Magna Impulsforum, fanden sich gestern wieder zahlreiche Besucher zur feierlichen Eröffnung des Philosophicum in der Neuen Kirche in Lech ein. Auch 2015 wieder sehr gut gebucht, erweist sich das internationale Symposium als Publikumsmagnet und hat über die Jahre hinweg ein treues Stammpublikum gewonnen. Daher empfahl Ludwig Muxel, Bürgermeister von Lech, bereits in seiner Begrüßungsrede, sich für das 20. Philosophicum im kommenden Jahr rechtzeitig anzumelden.
Im Namen des Vereins Philosophicum Lech bedankte er sich bei den vielen Mitwirkenden, ohne die diese einzigartige Veranstaltung nicht möglich wäre: angefangen beim Ideengeber, dem Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier, über Pfarrer Jodok Müller, der den außergewöhnlichen Tagungsort zur Verfügung stellt, bis hin zu den finanziellen Unterstützern, darunter Hauptsponsor Magna, aber auch private Gönner, und nicht zuletzt beim wissenschaftlichen Leiter des Philosophicum, dem Philosophen Konrad Paul Liessmann.
Letzteren hob auch Landeshauptmann von Vorarlberg Markus Wallner in seinen anschließenden Eröffnungsworten hervor. So gelänge es Liessmann „in besonderem Maße immer wieder, wichtige Fragen der Zeit anzusprechen und in einen kritischen Dialog zu bringen.“ Das heurige Philosophicum unter dem Titel „Neue Menschen! Bilden, optimieren, perfektionieren.“ reflektiert aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, deren Charakter und Auswirkungen höchst ambivalent eingeschätzt werden und die einen ebenso faszinierenden wie teils bedenklich stimmenden Blick in die Zukunft werfen lassen. Dabei geht es nicht zuletzt um ein neues, technizistisch geprägtes Menschenbild.
Den Wandel des Menschenbildes aus historischer Perspektive und dessen Bedeutung für die Familienpolitik thematisierte dann auch Sophie Karmasin, Bundesministerin für Familien und Jugend in ihrer Eröffnungsrede. Dabei betonte sie, wie dankbar sie darüber sei, beim Philosophicum eingeladen zu sein und dadurch die Gelegenheit bekommen zu haben, abseits von der Tagespolitik über grundsätzliche gesellschaftspolitische Fragen nachzudenken. Fundamentalen, zukunftsweisenden Aspekten von Bildung, Optimierung und Perfektionierung in Bezug auf die „Herausforderung Mobilität“ widmete sich im Anschluss Dieter Althaus als Vice-President Governmental Affairs von Magna Europe.
Die offizielle Eröffnung folgte wie immer auf das Magna Impulsforum, bei dem das Thema des Philosophicum bereits aus facettenreicher und mitunter persönlicher Perspektive diskutiert wurde. Auf diesen biografischen Ansatz verwies auch Moderator Michael Fleischhacker, Chefredakteur von NZZ.at, in seiner Einleitung, in der er auf den heutigen, bereits in der Kindheit einsetzenden Optimierungsdruck einging. Die geladenen Diskutanten beleuchteten das Phänomen dann von verschiedensten Seiten.
Die Psychoanalytikerin und ehemalige Leiterin der psychosozialen Beratungsstelle am Studentenwerk München Petra Holler meinte, dass die überzogenen Leistungsansprüche von jungen Menschen an sich selbst in den letzten Jahren ein Ausmaß angenommen hätten, das man nicht unkommentiert lassen könne. „Wir brauchen ausreichend große Spielräume, damit junge Leute auch mal eine falsche Entscheidung treffen dürfen“, lautete eine ihrer zentralen Thesen. Von ganz anderer Seite näherte sich der Facharzt für plastische Chirurgie Edwin Turkof dem Thema, der es als eine grundlegende Aufgabe seines Berufsstandes definierte, die Erwartungen des potenziellen Patienten abzuklären und mit den realistischen Möglichkeiten in Einklang zu bringen.
Auf gewissermaßen maßlose Bedürfnisse und Ziele in der Bekämpfung von Krankheiten kam der F.A.Z.-Wissenschaftsjournalist und Buchautor Joachim Müller-Jung zu sprechen. Von Fleischhacker auf den vermeintlich letzten großen „Makel“ des Menschen, seine Sterblichkeit angesprochen, meinte der Biologe, dass es das Unsterblichkeitssyndrom schon immer gab, sich heute aber vor allem die Frage stelle, was die Gesellschaft angesichts des fortschreitenden medizinischen Fortschritts etwa bei der genetischen Optimierung des Menschen – Stichwort Designer-Baby – zulassen wolle. Hajo Seppelt, investigativer ARD-Sportjournalist, wiederum lag an einer Differenzierung in Bezug auf das Thema Doping. So läge der Zweck von diesem beim Wettkampfsport eindeutig in der Leistungssteigerung, während beim Bodybuilding eigentlich Medikamentenmissbrauch der Falle wäre.
Besondere Aufmerksamkeit und mitunter Applaus erhielten die Ausführungen der Journalistin Susanne Gaschke, die als ehemalige Oberbürgermeisterin von Kiel ungeschminkte Einblicke in den Alltag einer Regionalpolitikerin gab, darunter Sitzungen „von unsäglicher, folterartiger Langeweile“. Als großes Problem der Politik nahm sie die „Attitüde des angemaßten Wissens“ und eine Abschottung der politischen Klasse wahr. Stattdessen sollten sich die Politiker damit auseinandersetzen, was die Leute wirklich beschäftigt, wie sie prononciert anmerkte.
Der zeitgenössischen Erörterung des heurigen Themas „Neue Menschen!“ war eine geistesgeschichtliche beim philosophisch-literarischen Vorabend vorausgegangen. Als erster Auftakt und zugleich willkommene Einstimmung auf das Philosophicum gilt das Wechselspiel zwischen den atmosphärischen Erzählungen von Michael Köhlmeier und den darauf rekurrierenden philosophischen Reflexionen von Konrad Paul Liessmann längst als ein alljährliches Highlight.
Diesmal schlug Köhlmeier den Bogen vom Mythos des Prometheus als antike Schöpfungsgeschichte des Menschen über die Legende von Rabbi Löw und der Erschaffung des Golems als vordergründig willfährigen Diener bis hin zum epochalen Roman von Mary Shelley „Frankenstein oder der moderne Prometheus“. Die wie immer brillanten Brückenschläge von Liessmann hin zum heurigen Thema kulminierten unter anderem in einer kühnen These. So meinte er, dass sich das alte Problem der Theodizee eigentlich erübrige, wenn man davon ausgehe, dass Gott mit dem Menschen etwas erschaffen habe, das besser ist als er selbst. Somit könne er gar nicht in unser Schicksal eingreifen, da er nicht das beherrsche, was wir beherrschen.
„Das ist der originellste Gedanke, den ich im Laufe des Philosophicums je gehört habe“, zeigte sich Köhlmeier über den Geistesblitz seines Gesprächspartners begeistert. Eine Begeisterung, die sich beim gestrigen Impulsreferat von Liessmann womöglich bei so manchem Teilnehmer des Philosophicum noch verstärkte. Und eine Begeisterung, mit der man auch bei den thematisch vielfältigen Vorträgen in den kommenden Tagen rechnen darf.
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